24. WGT - jenseits der Konzerthallen Drucken E-Mail
Geschrieben von: Wolfgang Hesse   
Donnerstag, den 11. Juni 2015 um 19:19 Uhr

Neben den Konzerten sorgt das vielfältige Rahmenprogramm für das typische WGT-Flair. In der ganzen Stadt scheinen schwarze Veranstaltungen angeboten zu werden. Das Spektrum reicht vom Viktorianischen Picknik sowie Klassik- und Mystik-Konzerten über Friedhofsgeflüster bis hin zu Buchkünsten, Ausstellungen und Trauerverbänden.

Clara-Park Viktorianisches PicknickViktorianisches Treffen im Clara-Park

Wer am Freitagnachmittag picknicken möchte, der geht einfach in den Clara-Zetkin-Park. Auf der Wiese hinter dem Springbrunnen wimmelt es von Menschen. Viele sind in außergewöhnlichen Outfit gestylt, andere sind als Zaungäste dabei, zum Schauen, zum Fotografieren oder sich nur unter die Leute zu mischen. Zwei Leinwände verraten, hier sind Profis am Werk. Was mit den Fotos passiert, kann man jedoch nicht erkennen. Wie immer sind die Personen mit den außergewöhnlichsten Kostümen umringt von Fotografen und Kamerateams. Die Leute verraten gern, wie lange es dauert, diese Kleidung zu schneidern, zu gestalten und den eigenen Körper damit zu schmücken. Immer wieder halten Taxis vor dem Park und Frauen mit sorgfältig hochgehaltenen Reifröcken und fantasievollen Kleidern steigen heraus. Eine Band, bestehend aus Akkordeon, Cello und zwei Gesangsstimmen schart die Besucher um sich. Die Ballade um Lilli Marleen, nach Lale Andersen, erklingt in einer düsteren WGT-Fassung, und wird wohlwollend zur Kenntnis genommen.

Auch das"gute Zimmer" darf bei diesem Event in nicht fehlen. Auf ausgewählten Decken sitzen die Damen und Herren, wie dem Barock oder der Renaissance entsprungen, und dinieren bei Kaffee, Früchten, Wein und Sekt. Vornehm gibt man sich beim Viktorianischen Picknick wie eh und je.

--> Bilder vom Viktorianischen Picknick zum WGT 2015 <--Victorian Village Leipzig Arena am Asisi-Panometer

Konkurrenz am Asisi-Panometer

Dennoch ist es anders. Die eigentlichen Initiatoren des Picknicks fehlen auf der Wiese. Das Ehepaar Viona und Dirk aus Schloss Heinrichshorst haben sich in ihr selbstgestaltetes Reich am Asisi-Panometer in Leipzig zurückgezogen. Paparazzi und Gaffer stören das Flair, lassen sie in einigen Interviews schon im Vorfeld verlauten. Dementsprechend ist ein Besuch dieser Privatveranstaltung auch nur in Gewandung erlaubt und Fotos dürfen in der Regel nur Gewandete von Gewandeten schießen. Eine Fotoerlaubnis muss beantragt werden.

Fernab des WGT und jeglicher WGT-Rahmenveranstaltungen wird in einem Viktorianischen Dorf – Victorian Village – den Liebhabern von Barock, Renaissance bis zum Steampunk ein Open-Air-Ambiente am Panometer ermöglicht. Dafür wurde das nebenstehende Gasometer ohne Überdachung im Stile des Viktorianischen Zeitalters gestaltet. Die Herren mit Zylinder, Anzug und Gehstock und die Damen in ausgefallenen Kleidern und mit Spitze verzierten Schirmen haben die Auswahl zwischen Flanieren auf dem Viktorianischen Markt, einem Picknick auf dem Grün der Lokation und dem Lauschen von Klängen eingeladener Musiker.

Nachtgesang WGT 2015Nachtgesang in der Peterskirche

Während Eisbrecher als Headliner die Agra-Halle rocken, erklingt A-Capella-Chorgesang in der Peterskirche. Beim "Nachtgesang" mit dem MDR-Rundfunkchor unter Leitung von Risto Joost aus Tallin steht "die Kraft des Gesanges" im Zentrum. Verse von schwarzer Trauer aus dem Jahre 990 vom armenischen Mystiker Gregor von Narek bilden die Grundlage für Alfred Schmidtkes berühmtes "Konzert für Chor", das 1986 in Moskau uraufgeführt wurde. In der bis zum letzten Platz gefüllten Peterskirche herrscht Totenstille, als die russischen Gesänge, in Anlehnung an den orthodoxen Gottesdienst, durch das Kirchenschiff hallen. Diesen beeindruckenden Klängen kann sich niemand entziehen. Risto Joost wird den MDR-Rundfunkchor vorerst zwei Jahre lang leiten und präsentiert sich mit diesem ersten Nachtgesang einem breiten Leipziger Publikum.

Midgards Erben mit der Edda zum WGT 2015Mystik und Fantasy im Völkerschlachtdenkmal

Dass die Krypta im Leipziger Völkerschlachtdenkmal eine einmalige Kulisse für diverse Veranstaltungen bietet, wissen die Veranstalter des Wave-Gotik-Treffens längst und planen jedes Jahr ein besonderes Kulturprogramm in dieser steinernen Halle ein. Am WGT-Samstag steht der Abend ganz im Bann mystischer Musik und Texte. In diesem Jahr widmet sich die Gruppe Midgards Boten der "Völuspa" – der Seherin-Weissagung aus der "Edda" – ein Mythos in Klang. "Wir sind seit Anbeginn der Zeit bis zu der Welten Untergang", Texte, Gesang und Klänge verbinden sich zu einem Sound, der in der Krypta widerhallt. Manche schließen die Augen, um sich vollends diesen Klängen hinzugeben. Doch auch das Betrachten der Musiker bei ihrer Aufführung ist ein Erlebnis, so interessant sind die Töne, die sie ihren Instrumenten entlocken. Im Anschluss an dieses Konzert erklingt Musik aus den Fantasy-Filmklassikern "Der Herr der Ringe" und "Der Hobbit". Die Geschichten um Mittelerde werden konzertant interpretiert.

Kammermusik zum WGT 2015 in der Alten BörseWGT-Kammer – ein Teil des Klassikprogramms beim WGT

Seit 2011 gibt es diese Kammermusikreihe und wird jährlich ausgebaut. 2015 vereinigt das Programm neun Konzerte unterschiedlichen Inhalts und wechselnder Interpreten. Die Musikauswahl wird ganz speziell dem Anliegen der Gothic Szene angepasst. Am WGT-Samstag erwarten "Offenbarung und Klangrausch" Klassikliebhaber in der Alten Börse am Naschmarkt 1. Musiker, die noch nie zusammen auf einer Bühne musiziert haben, begegnen sich bei diesem Konzert. Besonders beeindruckt eine Komposition von Helga Pogatscher, mit den Namen "Apokalypse" (für Klavier und Zuspielband), interpretiert von Isabel Gabbe. Das bewegende und emotionale Stück reibt die Seele auf und lässt die Gefühle des tragischen Verlustes der Komponistin erahnen. Der Chanson Medécasses "Aoua!" von Maurice für Sopranstimme, Flöte, Violoncello und Klavier schließt den Samstag in der Alten Börse.

Autorin Juliane Breinl und Thalia Lauer, die jüngste Künstlerin an diesem Abend

Eine Bühne für den Nachwuchs

Im Lyzeum für Klavier zeigen sich am letzten WGT-Tag zur Mittagszeit junge Künstler der Musikkammer. Die Solistinnen und Solisten sind zwischen 8 und 18 Jahre alt. Durch das Programm führt die Leipziger Autorin Juliane Breinl. Sie liest aus ihrem Kinderbuch "Die Feuerbälle", das Abenteuer einer Kinderbande im geteilten Deutschland, das in Leipzig spielt. Es erklingen Werke von Bohuslav Martinú, Eldin Burton und Lilly Boulanger sowie eine Komposition für Violoncello von Siegfried Thiele, ehemaliger Rektor der Leipziger Hochschule für Musik, interpretiert von der jüngsten Teilnehmerin: Thalia Lauer (8 Jahre). Der Künstler selbst ist anwesend und erklärt der kleinen Interpretin seine Bezüge zum Stück: "Das hängt mit meiner jüngsten Tochter zusammen, für die ich es geschrieben habe. Ich bin Musiklehrer und somit sind viele kleine Werke für Kinder und Jugendliche entstanden, auch mit einem gewissen Augenzwinkern und erzieherischen Aspekt."

Marlene Starke zeigt die handgeschöpfte Reproduktion als dritte WGT-Edition von der Leipziger Buchzunft zum WGT 2015

Die Kunst des Papierschöpfens

Auch in diesem Jahr beteiligt sich die historische Buchwerkstatt auf dem Agra-Gelände am WGT-Rahmenprogramm. Eine handgefertigte Mappe mit einem nachbearbeiteten Holzschnitt aus dem Kräuterbuch "Hortus Sanitatis" (Garten der Gesundheit) von Jacob Maydenbach aus dem Jahre 1491 bestaunen die Interessierten beim andächtigen Beschauen. Die Reproduktionen wurden auf Büttenpapier ausgedruckt und handkoloriert, mit Naturfarben ausgemalt und bearbeitet. Hauptthema der Vorführungen ist das Anfasern, das Herstellen von Papier, wie es früher geschehen ist. Rohmaterial bilden Zelluloseplatten. Mit einer Pumpe werden die zerkleinerten Fasern in eine Wanne transportiert. Dort wird die Blattgröße bestimmt und die Masse in Formen gegossen. Um die Hauptfeuchtigkeit zu entnehmen, wird das Ergebnis anschließend zwischen den Fliesen fest eingepresst. Danach wird das Papier zwischen trockene Platten gepresst und über Nacht getrocknet, erklären Diplomrestauratorin Angelika Starke und ihre Tochter Marlene. Zum Wave-Gotik-Treffen unterstützt sie die Arbeit auf dem Agra-Gelände.

Mark Benecke auf Scherben zu Besuch bei VEID zum WGT 2015Dr. Mark Benecke bei VEID: der Umgang mit dem Unausweichlichen

Wie im letzten Jahr beteiligt sich auch 2015 der Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e.V., kurz VEID genannt, am WGT-Programm. Diesmal können an zwei Tagen Konzerte, Lesungen, Vorträge und beliebte Experimente für Kinder mit Dr. Mark Benecke erlebt werden. Schirmfrau der Verbandes, Luci van Org, hatte die Idee, den WGT-Besuchern auf diese Weise die Arbeit des Verbandes näher zu bringen. "Der Umgang mit dem Tod ist für Menschen der schwarzen Szene nicht neu und gerade diese Menschen zeigen uns, dass sie offen sind für die Randgruppen der Gesellschaft", erklärt Petra Hohn, die Vorsitzende des Verbandes. "Hier im Verband kann man von den Betroffenen wirklich was lernen, wie sie es geschafft haben, wieder ins Leben zu finden", ergänzt Luci van Org. "Ich möchte vor allem, dass der Verband bekannt wird und das geht in der Gothic Szene zum Glück viel besser als in der bunteren Welt. Gerade die Unterstützung der Familien schützt auch Leben, denn oftmals verzweifeln Hinterbliebene und Geschwister der toten Kinder. Gerade deshalb freuen wir uns hier beim WGT präsent zu sein und wollen auch in den Medien auf unsere Arbeit hinweisen, denn wir brauchen jede finanzielle Unterstützung und das nicht nur zum WGT." Weitere Infos auf: www.veid.de

--> Bilder von VEID mit Dr. Mark Benecke, Luci van Org und Ingo Römling <--

Giovanni Perna bei seiner Ausstellung Totenstill zum WGT 2015

Fotografien wie gemalt

"Totenstill" heißt eine Ausstellung in der Galerie Nord. Die morbide Schönheit alter Friedhöfe zeigen Giovanni Perna und Lena Rebekka Rehberger in Schwarz-Weiß-Fotografien, die im tieferen Sinn eigentlich Bilder sind. "Licht ist eine Konvention in der Fotografie, die ich etwas raushaben möchte und daher meine Bilder mehr ins Dunkle ziehe", beschreibt der Stuttgarter Giovanni Perna seine Bilder. "Es muss wie gemalt aussehen. Der gemalte Aspekt ist für mich wichtig. Maler der Romantik sind für mich noch eher Vorbilder als Fotografen. Burgen, Schlösser, Ruinen, Friedhöfe und ein bisschen Landschaften, das bildet den Hauptteil meiner Arbeiten", erklärt der Fotokünstler weiter. "An Friedhöfen faszinieren mich die Abwesenheit unserer Gegenwart und die Statuen, die so in den Verfall reingeraten. Die Friedhöfe sind oft die schönsten Orte in den Städten." In der Ausstellung kann man Bilder aus Irland, Luxemburg, aber auch vom Hauptfriedhof Mannheim finden. Die Besucher erhalten die Möglichkeit, die Bilder, aufgezogen auf kleine A6-Rahmen, mitzunehmen. Von diesem Angebot wird reichlich Gebrauch gemacht.

Friedhofsgeflüster mit Dr. Anja Kretschmer zum WGT 2015Von Leichenbittern und Untoten

Der Leipziger Südfriedhof gehört seit Jahren ins Rahmenprogramm zum Wave-Gotik-Treffen. Konzerte in der großen Trauerhalle und verschiedene Führungen über einen der schönsten Natur- und Parkfriedhöfe Deutschlands werden angeboten. Jenseits der Sehenswürdigkeiten gibt es in diesem Jahr ein "Friedhofsgeflüster" mit Dr. Anja Kretschmer.

Den Geschichten um und über Bestattungen, Legenden und Totenkult lauschen über 100 Teilnehmer am frühen Samstagabend, die an neuem Wissen so einiges mitnehmen. Leichenbitter beispielsweise waren Personen, die das Begräbnis Verstorbener für die Hinterbliebenen vorbereiteten, ähnlich eines Bestattungsinstitutes aus unserer Zeit. Über Wiedergänger und Nachzehrer ranken sich dagegen unendliche und unheimliche Geschichten. Nachzehrer werden Gestorbene genannt, die Lebende mit ins Grab ziehen wollen. Die allerletzte Möglichkeit, sich vor Nachzehrern zu schützen, ist das Abschlagen der Köpfe. Erst wenn der Nachzehrer auf diese Weise getötet wird, soll die Gefahr vollends gebannt sein. Für das Saugen und Schmatzen der Nachzehrer auf den Friedhöfen gibt es jedoch natürliche Ursachen, denn der Verwesungsprozess und die Särge erzeugen diverse Geräusche, die auch nachgewiesen wurden. Dennoch hat sich der Aberglaube von diesen "Untoten" sehr lange gehalten.

Spannende und mystische Sagengeschichten um Scheintote und ein Märchen von den Gebrüdern Grimm über ein Kind, das keine Ruhe im Grab finden konnte, werden anschließend amüsant durch Dr. Kretschmer erzählt.

Zum Schluss erhält jeder Teilnehmer ein Schutzsalz, das böse Geister abwenden soll und das beim Verlassen des Friedhofes über beide Schultern zu streuen ist. Als Erinnerung können Anwesende einen "Leichenbitter" mit nach Hause nehmen, der als Kräuterlikör im heimischen Regal an diese wissenswerte Grusel-Führung erinnern dürfte.

--> Bilder zum Rahmenprogramm <-- | Was gab es noch? Zurück zur WGT-2015-Seite!