Leipziger Buchmesse: Historio-Politisches Drucken
Geschrieben von: Sascha Richter   
Dienstag, den 29. März 2011 um 15:34 Uhr

Es ist Donnerstag, der 17.03.2011. Die ersten Lesungen auf der Leipziger Buchmesse lassen von den kommenden 163.000 Besuchern nichts ahnen.

El Caudillo – Volksheld oder Tyrann? heißt eine von ihnen. 10:30 Uhr lädt Prof. Michael Riekenberg, Geschäftsführender Direktor am Historischen Seminar, Universität Leipzig, und im Forschungsbereich Ibero-amerikanische Geschichte tätig, zur Lesung ein. Eine halbe Stunde lang erläutert er den noch spärlich anwesenden, dafür umso interessierteren Gästen den Caudillismus in Südamerika, wobei Caudillo so viel wie Führer bedeutet.


Das allgemeine Bild des Caudillos wird von Klischees bestimmt. Es zeigt einen brutalen und ungebildeten Krieger oder viel eher Banditen, der mit seiner Bande durch die Gegend streift. Jedoch ist die Realität bei Weitem nicht so einfach, zumal es oft eher oberflächliche Betrachtungen sind, die zu dieser Auffassung des Caudillos führen.

Sehr anschaulich demonstriert die Hochzeitsanekdote, wie schnell zum Beispiel Fakundo Caudillo (Argentinien) fehlinterpretiert werden kann. So soll es sich zugetragen haben, dass Fakundo gerade zu einer Hochzeit erschien, als die Braut ihr Ja-Wort nicht gab. Es heißt, er ließ die Unglückliche auf der Stelle hinrichten, da sie mit ihrem Verhalten die Wahl ihres Vaters missachtet und seine Ehre verletzt habe. Für die Bewohner der ländlichen Gegenden brachte das Verhalten Fakundos weniger Brutalität als viel eher ein Verständnis und Verkörpern der Kultur mit Sitten und Bräuchen zum Ausdruck.

Er war kein einfacher Bandit. Als Land- und Bergwerksbesitzer, Politiker, Waffenhändler und Milizoffizier in einer Person war er ein einflussreicher und in verschiedener Hinsicht mächtiger Mann, dem es auch an finanziellen Mitteln nicht mangelte.

Seit jeher substituieren Figuren wie Caudillo den Staat, schließlich wurden sie ausnahmslos als Milizoffiziere von diesem eingesetzt und repräsentierten ihn folglich. Bereits im 8. und 9. Jahrhundert fand der Begriff Caudillo Verwendung. In Andalusien waren es die Kommandeure des Grenzgebietes, welche von den Mauren als Caudillo bezeichnet wurden.

Allerdings ist eine engere Fassung des Begriffes laut Michael Riekenberg sinnvoll. So plädiert er dafür, den Begriff für den Unabhängigkeitskampf von 1910 bis 1950/1960 zu verwenden. Spanische Studenten in Deutschland hatten das Führertum vor Augen, als sie den Begriff Caudillo auf die Führer der Revolution in Südamerika anwendeten.

Das faszinierende Charisma des Caudillos, so Riekenberg, setze sich aus verschiedenen Eigenschaften zusammen. Er scharte ein Klientel um sich, das ihm privat verpflichtet war. Dazu kam, dass er Gewalt organisieren konnte und vor allem in der Lage war, örtliche Kulturen zu verstehen und als deren Repräsentant aufzutreten.

Dreizehn Uhr versammeln sich in Halle 5, gegenüber des Verlagsstandes Kulturmaschinen, einige Leute in einer kleinen Nische. Das Publikum ist gut durchmischt, die Plätze scheinen aufgrund des Buchmesseansturms nicht auszureichen.

Autor Wladislaw Hedeler spricht in den kommenden dreißig Minuten über sein Buch Die Ökonomie des Terrors, hg. vom Verlag Ofifizin aus Hannover. Gegenstand ist die Organisationsgeschichte des GULAG, die Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und Repressionsmittel der UdSSR von 1939 bis 1960.

In den Lagern, welche maßgeblich der Erziehung der Häftlinge dienten, gab es hauptsächlich Stoßarbeiter und eine Lagerzeitung mit Lagerkorrespondenten. Letztere dienten anfangs der Aufklärung von Missständen sowie der allgemeinen Information.

Unter dem Deckmantel der Umerziehung, welcher lange Zeit rund um die Welt Verwendung für verschiedenste Arten von Strafarbeiten fand, sollten die Arbeiter maßgeblich bei der Ernte und anderen Arbeiten helfen.

Ab 1956 begann sich die Lage systematisch zu verbessern. Zunächst erteilte man den Befehl, wöchentliche Häftlings-Sprechstunden einzurichten, der jedoch von der Lagerleitung ignoriert wurde. Daraufhin schaltete sich das Politbüro ein. Es folgten Absetzungen von Personal, allgemein Maßnahmen gegen die Unterdrückung und für bessere Bildung der Häftlinge.

Wladislaw Hedeler bereiste selbst die Standorte solcher Lager und sichtete empirisches Material. Nach eigener Aussage sind weitere Prüfungen von Unterlagen und anderen Belegen notwendig.

Die spannende Frage zur Archivlage und GULAG-Forschung beantwortet der Autor ausführlich. Allgemein sei die Zugänglichkeit recht gut, allerdings ändere sich dies ab und an, und da es auch kaum noch Zeitzeugen gibt, werden die Informationen aus erster Hand immer spärlicher.

An den publizierten Dokumenten bemängelt Hedeler, dass sie oft zu einseitig und eingeschränkt wären und dadurch keine Vergleichbarkeit gegeben sei. Zwar tauchen langsam immer mehr Interessenten und Anfragen auf, doch kranken wissenschaftliche Diskussionen immer wieder am Quellenmangel. Zudem werden russische Autoren im deutschen Raum oft schlichtweg ignoriert, wie er kritisch anmerkte.

Am Stand E 207 geht es weiter. Die Thematik hat sich in die Gegenwart und nach Europa verschoben. Im überfüllten Zuschauerbereich tummeln sich Menschen fast jeglichen Alters, welche das Interesse am Thema verbindet. Dreißig Minuten sprechen Eckart Lohse und Markus Wehner über die Guttenberg Biographie.

Einleitend erfährt man, dass es nach den jüngsten Ereignissen lediglich Gerüchte über aktuelle Vorhaben des Ex-Verteidigungsministers gebe.

Interessant erscheinen gerade die Wesenszüge des Staatsmannes mit der sauberen Weste. Öffentlich trat er gern als demütiger Adliger auf. Allerdings mangele es seinem Verhalten im Dienst an Demut und Führungsqualitäten. Deutlich trat dies an sehr schnellen Entlassungen von Militäroffizieren zu Tage. Man vermutet, dass propagierte Demut und Zurückhaltung im Konflikt mit seiner Abstammung von katholischem Ur-Adel standen und diese in entscheidenden Situationen nicht von ihm überwunden werden konnten.

Auch bemängeln die Herren, dass Karl-Theodor zu Guttenberg mehr Schein als Sein wäre. Im Angesicht der Doktorarbeits-Affäre gewinnt das Zitat "Ich bin immer mit relativ wenig Aufwand relativ weit gekommen" eine Bedeutung mit mehr Tragweite, als man es vermutet hätte. Auch der Lebenslauf sei aufgeblasen, völlig unnötig, wie Eckart Lohse und Markus Wehner finden.

Als zukünftiger Schlossherr begann Karl Theodor von Guttenberg bereits im Alter von 12 Jahren Erfahrung mit dem Sprechen vor Publikum zu sammeln. Gut aussehend sowie einnehmend und mit dem passenden Dresscode zu jedem Anlass erfüllte er eine Art Sehnsucht nach Politikern mit Stargehalt, was in Deutschland eigentlich eher untypisch sei.

Mit seiner Eigenschaft, viel Wirbel zu verbreiten und aufzufallen, geriet er eher zufällig in die Junge Union und kam ohne das sonst übliche Netzwerk nach oben. Das solle trotz aller Kritik anerkannt werden.

Gleich darauf geht's: Unerkannt durch Freundesland (hg. Lukas Verlag). Während in der Menge der Zuschauer ein reger Austausch von Personen nebst Platzwechsel vonstatten geht, bereiten sich Verleger Frank Böttcher und Autorin Cornelia Klauß auf die Präsentation ihres Buches vor.

Mit leichter Verspätung beginnt kurz nach zwölf Uhr die Vorstellung über illegale Reisen durch das Sowjetreich. Zwar war es durchaus möglich, in Teile der UdSSR zu reisen, doch gelang dies nur wenigen. Wer mehr vom Sowjetreich sehen wollte, musste einen Antrag stellen und auf dessen Genehmigung hoffen, oder aber man nutzte mit einem Transitvisum das Schlupfloch über Polen oder Ungarn. Man konnte hierbei natürlich Pech haben und sich Ärger mit den Behörden einhandeln, aber viele Berichte erzählen vom Erfolg solcher Abenteuer.

Cornelia Klauß erinnert sich, dass sie das erste Mal in der Schule von einer Reise in die Sowjetunion hörte. Bei einem Aufsatz über die Schulferien schrieb ein Mitschüler über die gesammelten Eindrücke. Zunächst liest sie eine Kopie des Aufsatzes vor, welcher die Menschen des damaligen Bruderstaates keineswegs in Misskredit bringt, und schildert dann die Ereignisse nach der Korrektur. So soll es ein "heißes Eisen" gewesen sein, schrieb man nicht in der festgelegten Weise über das Sowjetreich. Genau dies bekam ihr Klassenkamerad deutlich zu spüren, als sein Aufsatz vor der Klasse verrissen wurde und ihn das, was eigentlich die Schilderung eines interessanten Urlaubs sein sollte, den Abschluss kostete.

Frank Böttcher erzählt Anekdoten aus seinem eigenen Abenteuer. 1982 reiste er als junger Mann über Polen. Von einem Freund hatte er von dem Schlupfloch erfahren, Adressen von dessen Freunden erhalten und sich auf den Weg gemacht. Er spricht davon, seinerzeit sehr nett aufgenommen worden zu sein und viele schöne Erfahrungen gemacht, aber auch Spannungen zwischen Sowjets und Ukrainern gespürt zu haben. Insgesamt reiste er sechs Wochen und lernte dabei auch Tschetschenien, Georgien, das Schwarze Meer und Rumänien kennen.

Zwar erinnere er sich an einige Verhaftungen, kam aber immer wieder mit einem Schrecken davon. Im Inneren des Landes wussten die Behörden meist einfach nicht, was sie mit ihm anfangen sollten und delegierten das Problem so lange weiter, bis er wieder schnell frei kam und sein Abenteuer fortsetzen konnte. Das Schlimmste, so teilt er lachend mit, wäre eine 5-Rubel-Geldstrafe bei der Ausreise aus Rumänien.

Auch diesmal folgt dem Ende der Lesung ein lautstarker Applaus des Publikums, das trotz der relativ frühen Stunde reichlich vorhanden ist.