360 Grad Gera 2014: Heißes Festival in mehrerer Hinsicht Drucken
Geschrieben von: Wolfgang Hesse   
Freitag, den 25. Juli 2014 um 15:48 Uhr

360 Grad Heimat Gera 2014 (c) Wolfgang HesseObwohl erst die zweite Auflage, kann man mit gutem Gewissen sagen, die Idee ist vielversprechend und zukunftsträchtig. Ein Festival für Mitteldeutschland in einer Stadt auszurichten, wo es immer schwierig ist, die Leute zu mobilisieren, beweist Mut und trotzdem bleibt bei allem dieses gewisses Restrisiko.

Die Besucherzahl von ca. 2000 ist zwar etwas hinter den Erwartungen geblieben, was vielleicht auch an den tropischen Temperaturen an diesem 19. Juli 2014 gelegen haben könnte. Dennoch bieten die Veranstalter in diesem Jahr eine interessante Musikauswahl. Ein abwechslungsreiches Spektrum, das viele Bereiche alternativer Musik abdeckt, ist schwer unter einen Hut zu bringen, 360 Grad wagt die Herausforderung.

Zweites 360 Grad Heimat beginnt in brütender Hitze

Schon am frühen Nachmittag, gegen 16.00 Uhr, bei gefühlten 40 Grad im Schatten treffen die meisten Besucher ein, suchen sich mit ihren Sonnenschirmen eine freie Fläche auf den Wiesen des Veranstaltungsovals oder umlagern die wenigen schattigen Stellen auf dem Gelände.

Karin Senf vom Veranstalter Geraer Volkssolidarität und Festivalleiter Jan Genseke begrüßen die Angereisten. Der Festivalleiter bedankt sich gleich zu Beginn mit einem großen Lob besonders bei den Technikern und Organisatoren hinter der Bühne.

Martin Ebert (c) Wolfgang HesseMartin Ebert eröffnet das Festival

Danach eröffnet Martin Ebert aus Gera den sechsstündigen Konzertmarathon. Der Liedermacher verkörpert die musikalische Verbundenheit des Festivals zur Heimat, zur Stadt Gera. Er bringt eigene Songs zur Gitarre, unterstützt von einem Schlagzeug, zu Gehör. Mit seinem Effektgerät kann er zwei unterschiedliche Gesangsstimmen erzeugen und miteinander mischen. Dazu arbeitet er mit zwei Mikrofonen auf der Bühne.

Wie bereits bei den Geraer Songtagen kann Martin Ebert auch auf der großen Konzertbühne überzeugen. Nur wenige Besucher wagen sich jedoch in die heiße Sommersonne vor der Bühnenabsperrung. Es lässt sich auch so gut von den wenigen schattigen Plätzen zuhören. Sein Lied über die Sonne, die wohl unübersehbar an diesem Nachmittag ist, beendet seinen Auftritt.

Der Sound ist im gesamten Gelände sehr gut hörbar. Auch von den obersten Bereichen des Veranstaltungsovals kann man das Bühnengeschehen bestens verfolgen bzw. den Liedtexten lauschen. Nonstop, und das ist wohl ein besonderer Bonus des Festivals, geht es ohne Umbaupausen von Band zu Band, von der kleinen zur großen Bühne und umgekehrt. Es gibt keine Überschneidungen und es gibt keine Wege zwischen den Bühnen – ähnlich dem Konzept bei der NCN in Deutzen.

DCVDN (c) Wolfgang Hesse

Rappper DCVDNS

"Vom Spash! nach Gera, von 10.000 Zuhören zu euch wenigen", so begrüßt Rapper DCVDNS die vereinzelten Fans, die extra wegen dem „Wolf im Schafspelz“ nach Gera gekommen sind. DCVDNS bedeutet: Dominic Christopher von der Nordsee und ist zum Synonym des Rappers geworden. "Rap gibt es jetzt endlich auch in Deutsch“, verkündet der Rapper aus dem Saarland. Er hat sein Lied über Nate Dogg die Hook und "Mein Mercedes", ein nicht ganz ernstzunehmender Vergleich über nützliche und unnütze Dinge des Lebens mitgebracht.

Indierocker Leo hört Rauschen

Leo hört Rauschen (c) Wolfgang HesseDie Dresdner Band Leo hört Rauschen rockt als Nächstes auf der kleinen Bühne. Als Intro ertönt ein Gedicht über die Zeit. Es ist das "Corona" von Paul Celan.

"Gold", auch als offizielles Musikvideo erschienen, und "Hinterlassenschaften", sind nur einige Lieder der deutschen Indie-Rock-Band mit mehrdeutigen Texten. "Es muss gesagt werden, was gesagt werden muss", so das Motto der Band, eine klare Aussage, jedoch überaus lyrisch verpackt. "Die Kunst ist tot, es leben die Maschinen", beklagen die Musiker in ihrem Song Kunst, umrahmt von beängstigender Maschinenmusik. "Die Projektion, der Hochmut ist geblieben, das Konzept vertröstet die Verliebten, oder Marschieren gegen das Kapital", die Textzeilen werden klanggewaltig umgesetzt.

Elif (c) Wolfgang HesseElif - Glück, Trauer, Liebe, Mädchensachen

Elif, eine junge Stimme aus Berlin, ist mit eigenen Liedern nach Gera gekommen. Das sind Lieder, die ihre Gefühle, ihren Eindruck von der Wirklichkeit widerspiegeln, Lieder von Glück, Traurigkeit und Liebe, Dinge, eben alles, was junge Frauen bewegen. "Es ist toll, so ein tolles Feedback hier in Gera zu bekommen", sagt die Sängerin. Gern geht sie da auch mal auf Tuchfühlung mit den Besuchern in der ersten Reihe. Bei dem Song "Unter Meiner Haut", vom gleichnamigen Album, wird schon einmal kräftig mitgesungen. "Gera, es war so schön, hier zu sein", freut sich die sympathische Sängerin mit einer Stimme zum Verzaubern und mit dem Lied "Nichts Tut Für Immer Weh" verabschieden sich Elif und ihre Band vom Festival.

Jeden Tag Silvester (c) Wolfgang HesseSupporter von Silbermond: Jeden Tag Silvester mit dabei

Jeden Tag Silvester kommen aus Schleswig-Holstein und haben sich diesen ausgefallenen Namen einfallen lassen. Eingängig und rhythmisch ist der mitreißende Popsound. „Giganten“, der erste Song geht schon einmal ins Ohr. Das Lied "Durch Deine Augen" erzählt die Geschichte von Menschen, die auseinanderdriften, obwohl sie sich doch eigentlich gern haben.

Zum Schluss erklingt der Bandname als Song. "Jeden Tag Silvester" – das  Chaos wird zur Lebensart. Damit endet ein kurzes, jedoch sehr persönliches emotionales Konzert von einer Band, die sich schon als Support von Silbermond vor einem großem Publikum beweisen konnte. Bald ist es soweit, am 19. September 2014 veröffentlichen Till, Nic, Tom und Bertram ihr Debütalbum.

Jan-Josef Liefers - Radio Doria

Auf der großen Bühne beginnt mit Schauspieler und Sänger Jan-Josef Liefers das Lineup der Headliner an diesem Abend. "Radio Doria" nennt sich das aktuelle Programm und so nennt sich auch die Band. Das Programm, alle Lieder sind eigens komponiert und getextet von Jan Josef Liefers, ist neu und erzählt Geschichten, die den Songwriter im Alltag oder allein in der Nacht inspiriert haben. Das Radio-Doria-Jingle – "die freie Stimme der Schlaflosigkeit" erklingt mehrfach in der Show. Inzwischen hat sich bei leicht sinkenden Temperaturen der Platz vor der Bühne gefüllt und auch die Stimmung steigt hörbar an. "Pralles Leben" heißt der erste Song dieser neuen Show.

Jan-Josef Liefers (c) Wolfgang Hesse"Ihr seht gut aus im Gegenlicht", freut sich der Frontmann und schaut ohne Sonnenbrille in die untergehende Sonne. Mit dem neuen Bandnamen Radio Doria kommt im September auch ein gleichnamiges Album auf den Markt. "In meinem Kopf spielt Radio Doria", erklärt Jan Josef Liefers und kündigt "Verbotene Kinder" an, ein Lied für alle, die sich das kleine Kind in sich selber bewahrt haben. Aus der Feder von Jan Josef Liefers ist ein Kampflied über den Mond entstanden. Hier bringt der Frontmann die Romantik und Schönheit des Erdtrabanten mit der Technisierung und der Mondlandung in Verbindung. Nasa-Funkverkehr und symbolisches Wolfsgeheul leiten das Lied ein. Die Fahne, die im Mond steckt, lässt ihn rot in den Himmel bluten. "Wir werden uns wiedersehen, hören oder lesen auf Facebook oder Twitter", mit diesen Worten verabschiedet sich "Jan usw." Es war ein einzigartiges Konzert, das von der einfachen und sympathischen Moderation des Frontmanns lebt und gerade damit dessen Verbundenheit mit dem Publikum vermittelt.

Liedfett (c) Wolfgang HesseAuf der kleinen Bühne geht es mit einem Kontrastprogramm von Liedfett weiter

Eine handgekritzelte Setliste und zwei Becher Bier zieren die Bühne vor Frontmann Lucas. Liedfett nennt sich das Hamburger Trio, die sich die Erfindung des "Liedermaching Underground" auf die Fahnen geschrieben haben. Liedfett, das sind Lucas, Sprinder und Philipp, das sind Gitarre, Percussion und Gesang. "Du bist Deutschland", ein Bekenntnis der Band zum Thema Rechts, beschreibt, dass man sich verpissen sollte, wenn man zu viel Nationalstolz habe.

Aber auch andere Typen nehmen die Jungs auf die Schippe. Das Maskottchen der Band, ein Steckenpferd namens "Emilio Galoppa", macht die Runde im Publikum und spontan formiert sich damit eine Polonaise. "Buh-Rufe" werden geübt, die Stimmung steigt. Begeisterter Applaus ist der Lohn. Lebensweisheiten, wie "Die besten Menschen sind die, die nüchtern bleiben", oder ein Lied, als garantierte Empfehlung, am nächsten Tag keinen Kater zu bekommen, geben die Hamburger Jungs zum Besten. "Das Leben könnte so schön sein!", heißt es dazu passend im Song.

Und schon wieder Kontrastprogram: Jennifer Rostock

Inzwischen haben sich die meisten Besucher vor der Bühne versammelt und mit Kapitänsmütze stürmt Jennifer Weist auf die Bühne. "Kapitän", so heißt denn auch der dazu passende erste Song der Wahlberliner Jennifer Rostock.

Jennifer Weist (c) Wolfgang Hesse

Von der ersten Sekunde an wird lautstark mitgesungen und als Papierschnipsel aus zwei Konfettikanonen über Bühne und Publikum darnieder regnen, kennt die Begeisterung keine Grenzen mehr. Es wird geschrien, gejubelt und die meist sehr jungen Zuhörerinnen in den ersten Reihen wollen feiern.
"Supergeil, heute hier zu sein, denn die geilsten Konzerte gibt’s nur im Osten", ruft die am ganzen Körper bunt tätowierte Frontfrau in die Massen.

Insgesamt fünf Lieder des aktuellen Albums "Schlaflos" haben Jennifer Rostock mit nach Gera gebracht. "Ich finde, es ist ein super Festival", meint Jennifer Weist und wünscht sich, "dass dieses Festival noch mehr Zuwachs bekommt und in den nächsten Jahren der ganze Park dafür genutzt werden kann".

"Ob Homo, Hetero, Bi oder Transsexuell, egal wie ihr seid, dieses Lied ist eine Ode an alle", schreit sie und leitet damit den Song "Ein Schmerz und Eine Kehle" ein. Auch in Gera macht Jennifer Weist mit ihrer Performance ihrem Image als vulgäre Skandalnudel alle Ehre. Zwei Fans dürfen auf der Bühne beweisen, ob sie den gesamten Text des Liedes "Feuer" beherrschen.

Da die 16-jährige Antonia sehr aufgeregt ist, bekommt sie zur Aufmunterung einen Grabscher an ihre Brüste. Gemeinsam mit Alex (27), dem zweiten Kandidaten, gibt es eine spezielle Version des Liedes "Feuer" zu hören. Doch noch ist nicht Schluss, "Himalaja" und "Kopf oder Zahl", das sind die Songs der letzten Runde, wobei nochmals eine Ladung Konfetti auf die Köpfe des Publikums regnet.

"Hier oben hört ihr euch auf an wie 10.000!", geht das Lob an alle, die gekommen sind, für die Stimmung und auch für die Organisation. Jennifer Rostock haben mit ihrer provokanten Show ein begeistertes Publikum zurückgelassen, das nun heiß ist auf die letzten Acts des Abend.

Cäthe (c) Wolfgang HesseKleine Bühne mit Cäthe

Das ist zunächst Cäthe auf der kleinen Bühne. Sie präsentiert, unter anderem, Ausschnitte aus ihrem Album "Verschollenes Tier" aus dem Jahre 2013. Barfuß und mit Hut tanzt die Powerfrau vor dem Mikrophon.
"Hoch Oben Nach Dem Sturm" oder "Unter Meiner Haut" steht auf der handgeschrieben Setliste. Die vierköpfige Band spielt dazu einen mitreißenden und rockigen Sound. "Eine Perle, das bist du, mach die Augen auf", heißt es im Lied Señorita. Nicht nur mit beherzten Schreien kann Cäthe überzeugen, es ist eine beachtliche Stimme voller Emotionen.

MADSEN: "Euch werden wir nicht vergessen!"

Inzwischen ist aus dem brütenden Sommertag eine milde, angenehme Sommernacht geworden. Ein instrumentales Intro lässt die wartenden Zuhörer dem Beginn der letzten Show entgegenfiebern.

Mit "Muss Das Liebe Sein", starten Headliner MADSEN, in düsteres Blau getaucht, gleich richtig durch. Schon beim ersten Refrain ertönen laute Publikumschöre. So wird Gera für die Band um die drei Madsen-Brüder zu einem Heimspiel. Schon nach wenigen Songs gibt es die üblichen Sprechchöre.

Madsen (c) Wolfgang HesseJohannes Madsen freut sich über den überwältigenden Empfang. Es rockt, das wird auch beim Song "Wo Es Beginnt" deutlich. MADSEN machen Musik, die gute Laune vermittelt und den vielen anwesenden Fans gut gefällt. "Lasst uns zusammen Geschichte schreiben!" Die Stimmung steigt von Song zu Song und bei diesem Lied sind die Publikumschöre weit über den Park zu hören.

Als Rockklassiker "I Was Made For Lovin’ You" von Kiss oder "Radar Love" von Golden Earing eingemischt werden, wird im Publikum lautstark gefeiert. Doch auch Keyboarderin Lisa Who bekommt ihr Solo und das Lied "So Cool Bist Du Nicht" kommt unwahrscheinlich gut bei der tobenden Menge an.

Irgendwann geht auch das längste Festival einmal zu Ende. Zuvor bekommt Alex aus dem Publikum gemeinsam mit Johannes Madsen die Chance "nachtbaden" zu gehen. ("Hättest du nicht Lust, mit mir den Abend zu verbringen, gegen den Frust, ins kalte Wasser springen"). Nach der Zugabe "Lass Die Musik An" sollte die Show endgültig zu Ende sein. Doch die MADSEN-MADSEN-Rufe verhallen nicht. Und ein weiteres Mal kommen die Musiker auf die Bühne. Selbst als die Techniker bereits mit dem Abbau beginnen, kehrt die Band noch einmal zurück und schickt schließlich die Festivalbesucher mit "Kein Weg Zu Weit" in die Nacht.

"Euch werden wir nicht vergessen", ruft Johannes Madsen in die Menge, denn solch eine fantastische Stimmung stelle selbst die auf dem unlängst veröffentlichten Live-Album "10 Jahre Madsen" in den Schatten. Die 2000 Besucher tragen die aufgeheizte Stimmung in die laue Sommernacht hinaus.

---> Bilder 360 Grad Heimat

Bei Rezianer
1. Festival 360 Grad Heimat

Weitere Infos

Homepage: www.360grad-heimat.de
Facebook: www.facebook.com/360GradHeimat

Vielen Dank an das Clubzentrum Comma Gera für Akkreditierung und Fotopass!