WGT 2012: Woher? Wohin? Zukunft für die Schwarze Szene? Drucken
Geschrieben von: Wolfgang Hesse   
Samstag, den 09. Juni 2012 um 20:32 Uhr

© Wolfgang HesseUngefähr 50 Leute hatten sich zusammengefunden, als Alexander Nym, Hsg. v. "Schillerndes Dunkel" u. "Black Celebration", Myk Jung, Musiker, Autor und Urgestein der Gothic-Szene, und WGT-Pressesprecher Cornelius Brach im zweiten Stock der Hugendubel-Buchhandlung über den Status Quo der Schwarzen Szene sprachen.


Gleich zu Beginn zitierte Alexander Nym Auszüge eines Artikels der Wochenzeitschrift "Der Freitag". Unter dem Titel "Die schwarzen Messen sind gelesen" beschäftigt sich der Autor provokant mit der musikalischen Zukunft der Schwarzen Szene. Sie bringe nichts Neues zustande, und wie das Ergebnis einer Musiksendung zum Gothic-Day auf BBC6 beweise: Kein einziger Song aus diesem Jahrtausend wäre unter den Wunschfavoriten der Fans gewesen.

Nym leitete damit zur Fragestellung "nach der Selbstverordnung des Imageproblems und des Kerngedankens der Szene" über:

"Wohin sind die tatsächlichen kulturellen Ideale gegangen, die es Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre gegeben hat, wenn unterdessen Crossover und Retro-Phänomene wie Folk, Mittelalter, Klassik und neue Musik assimiliert wurden?" (Alexander Nym)

Pressesprecher Cornelius Brach machte aus der Sicht der Veranstalter des WGTs deutlich, was das Anliegen des Treffens ist. "Wir möchten alle Sub-Genres bedienen. Dazu bieten wir viel Raum für kleine unbekanntere Bands, deren Auftritt beim WGT oft zu einer Entdeckung durch die Besucher führt und für die Künstler unweigerlich einen Popularitätsschub zur Folge hat." Jedoch sei an ursprünglicher musikalischer Substanz in den letzten Jahren viel verloren gegangen. "Es ist dünner geworden an großen Namen."

Jetzt seien auch Postpunk oder Rockabilly im Programm, ein weiteres Merkmal der Vielfalt der Szene. "Wir versuchen viele Facetten abzubilden, aber auch viel Raum für Nischen zu schaffen, wo die alten Szene-Ideale noch weiterleben" (Cornelius Brach).

Mittlerweile gehe das Interesse über diese Ideale hinaus, so Cornelius Brach weiter. Man steuere von Seiten des WGTs einer "kulturellen Verflachung" entgegen. Klassische Konzerte und Besuche in den Museen beispielsweise werden daher angeboten – und sie werden angenommen. Letztes Jahr seien fast 2000 WGT-Besucher im Museum der bildenden Künste gewesen.

"Das ist für uns auch ein Gradmesser für das Interesse der Szene, sich auch mal in die Kirche oder ins Völkerschlachtdenkmal zu setzen, um einem klassischen Konzert zu lauschen."

© Wolfgang HesseMyk Jung untersetzte die negativen Aspekte des zitierten Artikels, indem er an die Ursprünge erinnerte. Es sei bereits Ende der 70er Jahre gewesen, wo Dinosaurier-Rock und Discomusik dominierten, als der Weg abseits vom Kommerz hin zu einer anderen Klangsprache, zu einer anderen Ideologie führte.

Visuell sei dies auch durch das Outfit in Form von Schock-Elementen gekennzeichnet. "Für mich sind Power-Noise, Future-Pop, Schwarze Schlager oder Techno der Cybergoth-Fraktion ideologische Fortsetzungen von Saturday Night Fever. Da ist schon etwas verloren gegangen." Neues in der Musik umzusetzen sei heutzutage schwieriger geworden.

Seit 2000 gäbe es für ihn keine wirklichen Höhepunkte mehr. "Dennoch werde ich die Hoffnung nicht aufgegeben." Myk Jung erinnert in diesem Zusammenhang an Nine Inch Nails, die es seiner Meinung nach Mitte der 90er Jahre geschafft haben, etwas wirklich Neues, nämlich den Industrial-Rock, zu etablieren. Bei aller Unzufriedenheit dürfe nicht das Klischeedenken siegen: "Früher war alles besser".

"Auch in den 80er Jahren gab es den nie endenden Kommerzkonkurs, wobei sich der Erfolg von Bands wie Phillip Boa oder Depeche Mode in einer enttäuschten Erwartungshaltung der Fans widerspiegelte." (Myk Jung)

Alexander Nym griff noch einmal den Abgrenzungsgedanken der Subkulturen auf und erwähnte deren Vielschichtigkeit. "Subkulturen wollen, können und müssen sich vom Mainstream absetzen." Mittlerweile sei die Farbe Schwarz in der Szene nicht mehr das bestimmende Element. Die Tendenz zeige "anything goes". "Neofarben, Cosplay, Fantasy, viktorianische Kostümierung und Steampunk sind Formen, die in der Musik keinen Kontext mehr haben und sich als Kulturformation völlig verselbständigten".

Die Erfahrung habe gezeigt, dass Kulturen meist nur einen kleinen Zeitraum eine Subkultur darstellen und dann mehr oder weniger von außen langsam durch den Mainstream beeinflusst werden.

Die Statements der Insider fielen auf fruchtbaren Boden. In der anschließenden Diskussion gab es kontroverse Gedanken zu dem Gesagten. Der schwarze Kern der Szene existiere noch. Nur ein wechselnder Schwarm von Mitläufern versammele sich darum, der der Szene jedoch an sich nichts anhaben könne, so die Aussage eines Besuchers. © Wolfgang Hesse

Cornelius Brach erinnerte in dem Zusammenhang an dunkelromantische Zusammenkünfte wie Die Blaue Stunde aus Leipzig, einer Gruppe Gleichgesinnter, bei der der Urgedanke stilvoll und mit Charme weiterlebt.

Auf die Frage, weshalb so bunt bekleidet, angesprochen, sagt eine Besucherin, dass sie gern schneidere und damit auch die Farbenvielfalt tragen möchte. Jedoch das Outfit sei auch nicht alles. Den Gedanken des Selbstkreierens griff Alexander Nym auf und sprach die frühen Tage an, als es noch keine Hochglanzkataloge mit Gothic-Klamotten gab. Der WGT-Pressesprecher nutzte die Gelegenheit, um auf das "Schwarze Stricken" des Leipziger Hilfsvereins Nächstenliebe e.V. aufmerksam zu machen. 2012 wie schon zum letzten WGT lud der Verein WGT-Besucher ein, verschiedene Handarbeitstechniken auszuprobieren.

Auch wenn es letztendlich nicht mehr die Szene der ersten WGTs ist, die alljährlich zu Tausenden nach Leipzig pilgert, so stünden doch die Ideen aus der Anfangszeit, ein Treffen Gleichgesinnter zu sein, bei einer Vielzahl der Besucher im Mittelpunkt der Tage über Pfingsten. So ist und bleibt die Schwarze Szene über die Musik hinaus eine vielfältige Gemeinschaft, die eine ähnliche Lebenseinstellung teilt.


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