Schlangen, Panther und wieder Vampire - Lesungen auf der RingCon Drucken E-Mail
Geschrieben von: Nadja Kellner   
Freitag, den 22. Oktober 2010 um 20:33 Uhr

Wolfgang Hohlbein - Chronik der Unsterblichen

Andrej Delãny wacht nach einem intensiven Traum in einem dunklen Raum völlig verwirrt auf. Langsam erinnert er sich: Er sah seinen Sohn aus dem Grab, in den er ihn nach dem Anschlag in London selbst gelegt hatte, herauskommen. Marius schien die Züge eines Engels und die Augen eines Teufels zu tragen und klagte Andrej, seinen Vater, an. Weil er war, was er war, wurde sein Sohn von Männern zu Tode gefoltert, "die er nicht kannte".

Aus den Gedanken riss ihn eine fremde Frauenstimme. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er in ihr Zimmer gekommen war. Diese versuchte, ihn zu verführen. Nur interessierte er sich genauso sehr für ihren Körper wie für ihr "Lebenselixier".


Die "Chronik der Unsterblichen" erzählt die Geschichte eines Vampyrs, der gemeinsam mit einem weiteren Gefährten, Abu Dun, seiner Vergangenheit und seinem Schicksal durch die Jahrhunderte hinweg auf der Spur ist.

Der Zwiespalt zwischen Lust auf Blut und die Angst, seine Menschlichkeit zu verlieren, zieht sich durch die Bände. "Der Schwarze Tod", der zwölfte Band der Reihe, greift noch einmal das schwere Schuldgefühl Andrejs gegenüber seinem Sohn auf und bringt ihm seiner Wahrheit wieder ein Stück näher.

Wolfgang Hohlbein, zwischen Moria-Tor und Volturi-Thron, las die ersten Seiten seines Bandes, mit rauer, etwas erkälteter Stimme, das Glas Wasser immer in der Nähe. Doch auch nach der fünfzigminütigen Lesung nahm er sich noch, wie vorgesehen, einige Minuten Zeit, um Fragen zu beantworten.

So erfuhr man, dass die Chronik nie als Serie geplant war. Aber nachdem es immer mehr Ideen wurden und "1000 Seiten schlecht zwischen zwei Buchdeckel" passen, entschied man sich "aus praktischen Gründen" für mehrere Bücher. Hohlbeins trockener Humor gefiel dem Publikum sichtlich. Er gilt als einer der meist gelesenen Fantasy-Autoren Deutschlands – kein Wunder also, dass sich viele Fragen um seine kreative Ader drehten.

Seine Geschichten entwickele er mit dem Gedanken an die Hauptfigur. Diese habe er von "Anfang an im Kopf", doch ein Gesicht haben keine seiner Figuren für ihn. Erst jetzt durch die düstere Comiczeichnung "Der Chronik der Unsterblichen" erhalten seine Figuren ein eigenes Gesicht.

Kai Meyer - Arkadien

Kai Meyer wiederum sehe als erstes die Geschichte, und dann komme die Figur ins Spiel. Nur bei der Rosa sei es anders gewesen. Ihr typisches Gothicaussehen habe er von Anfang an vor seinem geistigen Auge, und inzwischen habe er sie liebgewonnen.

Rosa ist die Hauptfigur seiner Geschichten um Arkadien, einer ungewöhnlichen, für das Paar nicht ungefährlichen Liebesbeziehung und zweier verfeindeter Mafiaclans, wobei der Anfang bis zu Zeus zurückreicht.

Beide Clans sind Gestaltenwandler. Während sich Rosas Clan bei Gefahr und Erregung in Schlangen verwandeln, werden aus ihrem Romeo Allessandro und seinen Clanmitgliedern Pantheras, also Raubtiere. Er selbst verwandelt sich in einen schwarzen Panther.

In "Arkadien erwacht" lernen sich die beiden kennen. In "Arkadien brennt"  übernehmen sie als Clanchefs das Zepter, was einigen weniger gefällt als anderen, und Rosa sucht weiter nach der Vergangenheit.

Auch wenn es nach einer Art Romeo-und-Julia-Story ausschaut, Fantasy und Gefahr stehen weiter oben in der Liste. Der herrliche Zynismus, den Autor und Rosa an sich haben, bringt noch mehr Farbe und einige Lacher in die Geschichte, was auch der Lesung sehr gut tat. Das Zusammenspiel aus Mafia-Elementen und Arkadienmythen gestaltet den Rahmen der Geschichte. Immerhin sei Meyer ein großer Fan der alten TV-Serie "Allein gegen die Mafia", wie er dem Publikum verriet.

Außerdem versuche er, verschiedenste Themen zu einem Neuen zu verknüpfen, oder auch Themen zu nutzen, die schon lange nicht mehr so aktuell sind. "Die Sturmkönige" sind hierfür ein gutes Beispiel, spielt die Trilogie doch im Morgenland, quasi bei Alladin um die Ecke, als neues Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Er sei entsetzt gewesen, dass es Leser gibt, die mit dem Begriff "fliegender Teppich" nichts mehr anzufangen wüssten, dabei liefen noch vor einigen Jahren Filme wie "Der Dieb von Bagdad"  ständig im Fernsehen.

Markus Heitz - Judassohn

Nach der Meyer-Düster-Märchenstunde war es Zeit für den Auftritt des letzten Autors für den Samstag im Beethoven-Saal. Markus Heitz, der die "Frühschicht" um 10:00 Uhr begonnen hatte, stellte den noch immer munteren Zuhörern "kurz vorm Schlafen-gehen", vier Kapitel aus "Judassohn" vor. Nun könne das Publikum mehr ertragen als zur Frühstückszeit, meinte er,  – und dann ging's los.

Leipzig, Silvester, Ritterstraße: Emma ist bei den Vorbereitungen für ihre Silvesterfeier. An der Tür klingelt es, Emma macht auf, eine Tonja Umaschwili steht in der Tür, fragt nach Theresia Sarkowitz und gibt sich als deren Cousine aus.

Sia, sei nicht da, kam als Antwort, sie könne aber auf sie warten. Dass mit Tonja etwas nicht stimmen konnte, war dem geneigten Zuhörer spätestens klar, als diese in einem Spiegel schauend, plötzlich ihre Gesichtszüge ändert, und zwar solange, bis sie ihrer angeblichen Cousine sehr ähnlich aussieht. Gemeinsam wartet sie dann auch mit Emma und deren Tochter Elena auf die Partygäste.

Und dann Perspektivwechsel: Sia erreicht Emmas (c) Cindy LötherWohnungstür und hat plötzlich metallischen Geschmack in Mund und Nase. Der Geruch ist verführerisch und teuflisch zugleich. Was dann folgte, war eine sehr detailgetreue Beschreibung von Blutteppichen, Totenbergen und der thronenden Täterin, die sie mit einem "Frohes neues Jahr, Mutter" willkommen heißt.

Heitz-Vampire sind wahrlich "alles andere als kuschlig", wie der Autor selbst bemerkte, und er fügte hinzu: "in der Sonne glitzern sie auch nicht". Vor dem Frühstück mag diese Lektüre nur schwer zu verdauen sein. Heitz hat eine unglaublich plastische Art und Weise zu beschreiben, sein Vorlesen steht diesem in Nichts nach. Der Zuhörer spürt die Bedrohung förmlich, noch bevor er den Grund versteht. Die offenen Kapitelenden, die wie selbstverständlichen Figuren- und Perspektivwechsel, sogar Orts- oder Jahrhundertwechsel schaffen eine spannungsgeladene Cliffhängersituation. Zudem spielt Heitz oft mit den Perspektiven der Opfer und Ahnungslosen, sodass der Leser nur so viel erfährt, wie die Figuren selbst.

Während wir also in die Bretagne reisen und zurück, landen wir wieder in Leipzig und erfahren Gedanken eines Mannes, der es auf Emma abgesehen hat. Aus "dramaturgischen Gründen",wie Heitz immer zu sagen pflegt, könne er jetzt nicht verraten, warum der Mann so einen Hass gegen Emma hegt. Aber, so der Autor zum Publikum, es seien "Hinweise darüber im Buch zu finden".

Wie immer eine spannende Lesung, und doch fehlte etwas. Zumindest fiel es denjenigen auf, die Heitz auf seiner Lesetour mit der düsterromantischen Band Persephone erlebt hatten. An markanten Stellen, wie die der Tonja-vor-dem-Spiegel-Szene, wäre es Sonja Kraushofers Einsatz gewesen, eines der Persephone-Lieder anzustimmen, begleitet von Celli, Percussions und Geige. Heitz selbst gab zu, sich des Öfteren dabei zu ertappen, wenn  er sich umdrehen möchte, um zu schauen, wo denn die Musik bleibe.

Ihr gemeinsames Debüt und zugleich die erste Generalprobe, wie er zugab, fand passenderweise in einer Leipziger Lokation statt, und ebenso passend zum Wave Gotik Treffen. Für Heitz sei Leipzig die perfekte Vampirstadt, Altes und Neues, Historie und Gegenwart träfen in dieser Stadt aufeinander – genau das Richtige für seine Geschichten. Im Dezember dieses Jahres wird auch der dritte Band auf den Markt kommen: "Judastöchter", eine weitere düster-phantastische Geschichte mit Sia.

Exkurs mit Friedhelm Schneidewind: Streitgespräch mit dem Publikum zum Thema Vampir und Moral

Dem Phänomen Vampir nähert sich seit den neunziger Jahren der Experte Friedhelm Schneidewind  aus verschiedenen Blickwinkeln. In seinem Streitgespräch "Vampir und Moral" war es das Publikum, das seine  eigenen Ansichten erklären sollte. Die erste Frage, die man sich stellen solle: Kann ein Vampir moralisch beurteilt werden? Und wenn, ja: Was be-/verurteilen wir an einem Vampir: die leere Hülle, den Vampir an sich oder das letzte Menschliche, was wir in ihm vermuten?

Ist ein Vampir nur noch ein Raubtier, das seinen Instinkten folgt, entbehrt er sich jeder Art von Moralvorstellungen. Oder tötet er bewusst?

Ist er bewusst und aus freien Stücken zu einem Vampir geworden oder wurde er dazu gezwungen? Warum hat sich das Bild des Vampirs so verändert. Wie ist der Hype auf "Twilight" und "Blood Ties" zu verstehen?

So wurde das Thema Vampir allmählich auf die religiöse und sozialkritische Ebene verschoben. Im Religiösem sei eine Verdammung für uns nichts Bedeutendes mehr, da der Glaube an Gott und die Seele in der heutigen Zeit keine große Rolle mehr spiele. Zudem ist für uns die Unsterblichkeit heutzutage eher ein Wunsch, denn eine Bestrafung. Eine Bestrafung ist sie für diejenigen, die im Himmel eine weitere Ebene sehen. Dann ist das Festhalten im Diesseits eine Katastrophe. "Es ist saublöd, ewig zu leben, wenn ich das Rad der Wiedergeburt damit anhalte", so Schneidewind als Erklärung. 

Bleibt immer noch die Frage der Moral im sozialkritischen Sinne: Als Opfer oder "Schlachtvieh", wie es bei "Blood Ties" heißt, verurteilen wir Vampire, die sich von uns ernähren. Die Frage, wer denn in diesem Raum Vegetarier sei, brachte bei einigen ein schuldbewusstes Lächeln in das Gesicht.

Und Schneidewind setzte noch einen drauf: 4 bis 6 Liter pro Tag bräuchte ein Vampir zum Überleben, ein Mensch pro Nacht, so der Experte (nachzulesen in seiner Schrift "Biologie der Vampire"). Das macht dann in 40 Jahren rund 15.000 Menschen. Weit mehr Menschen sterben pro Tag durch Unfälle, Katastrophen und Menschenhand.

Als Abschluss stellte Schneidewind eine Frage: Unter welchen Bedingungen würdet ihr zum Vampir werden wollen? Daraufhin meldeten sich vor allem die Fans der vegetarischen Vampire zu Wort.

Text/Fotos: NK