Holmqvist, Ninni: Die Entbehrlichen Drucken
Geschrieben von: Cindy Loether   
Donnerstag, den 09. September 2010 um 19:24 Uhr

Holmqvist, Ninni - Die EntbehrlichenSeiten: 320, Taschenbuch
Verlag: Fahrenheit
Genre: Roman
Sprache: Deutsch
ISBN-10:
3-940-81300-1
ISBN-13: 978-3-940-81300-8
Originaltitel: Enhet (schwedisch)
Erschienen: 6. Februar 2008

Die Gesellschaft braucht Organe. Da diese durch Organspenden nicht gewährleistet werden können, wurde ein neues Gesetz erlassen. Die Gesellschaft teilt sich in zwei Arten von Menschen: diejenigen, welche gebraucht werden, und jene ohne Aufgabe – die Entbehrlichen. Entbehrliche werden an ihrem fünfzigsten Geburtstag in eine Einrichtung gebracht, die Einheit, in der sie für den kurzen Rest ihres Lebens verweilen, um als Organspender für die Gebrauchten oder für medizinische Tests zur Verfügung zu stehen. Eine Gesellschaft, die nach materialistischen Gesichtspunkten wertet: Wer keine Kinder hat, ist entbehrlich, wer keine Aufgabe hat, welche der Gesellschaft nützt, ist entbehrlich.

Hauptperson ist die fünfzigjährige Schriftstellerin Dorrit, welche keine Kinder hat und als Person der Gesellschaft keinen Nutzen mehr bringt. Ihr Liebhaber weigert sich, ein Kind mit ihr zu zeugen. Kinderlos, ohne Verwandte und ohne produktive Aufgabe wird sie in eine Einheit gebracht. Dort trifft sie auf Johannes, einen alten Bekannten.

Der Zustand in der Einheit ist utopisch. Ein Paradies für die Versuchsmenschen. Sie leben im Luxus, doch müssen sie qualvolle Tests, Operationen und Organspenden über sich ergehen lassen, bis sie zur Endspende aufgefordert werden. Die psychische Belastung der Bewohner der Einheit ist bemerkbar spürbar und schlägt sich in einer deprimierenden Stimmung nieder. Ein Big-Brother-System überwacht die Entbehrlichen bei jedem Schritt, sind sie doch wertvolles Organmaterial.

Zwischen Johannes und Dorrit entsteht eine Romanze mit Folgen; unglaublich, aber sie wird schwanger. Die Organbank hat nun ein Problem, denn diese Situation gab es noch nicht. Trotz des Wissens, dass er Vater wird, entschließt sich Johannes zur Endspende. In diesem Augenblick ändert sich für Dorrit alles.

Eine durchaus mögliche, nicht allzu ferne Zukunft baut der Autor hier vor uns auf. An einigen Stellen ist das Buch verabscheuenswürdig, denn unsere Vorstellungen von Ethik und Moral existieren in dieser Gesellschaft nicht. Die Autorin schreibt wunderbar fließend in einem durchdringenden Ton, welcher selbst die grausamsten Dinge als normalen Alltagstrott widerspiegelt.

Der durchdringende Sarkasmus ist dezent, aber lässt erkennen, wie kritisch das Thema vom Leser aufzufassen ist. Stilistisch hervorragend verfasst, einfühlsam und zugleich unheimlich. Die Handlung wirkt sehr authentisch, vor allem die psychologischen Aspekte sind sehr gut dargestellt. Ich habe dieses Buch, trotz seiner schauderhaften Vision, verschlungen.

Eine erschreckende Vision der Zukunft, eine Gesellschaft mit Schrecken: Wie kann man Menschen auf diese Art beurteilen? Sind wir nicht in gewisser Weise schon am Rande einer solchen Gesellschaft angekommen? Sozialkritisch aus der Perspektive einer kinderlosen fünfzigjährigen Schriftstellerin geschrieben, verdeutlicht das Buch etwas, das unsere Gesellschaft hinnimmt: die Gleichgültigkeit.

Was ist mit den kinderlosen älteren Menschen? Werden sie nicht auch in Pflegeheime abgeschoben? Was ist ein Menschenleben wert und wer hat das Recht, darüber zu urteilen? Die Sensibilisierung für dieses Thema wirft eine Diskussion über den Wert eines Lebens und der Gleichgültigkeit der Menschheit auf. Empfehlenswerte und ergreifende Lektüre!